Fokus: Feminismus - Digitaler Hass gegen Frauen

Gollaleh Ahmadi ist Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses für Bündnis90/Die Grünen und Vorsitzende des Innenausschusses. Immer wieder erlebt sie digitale Gewalt. Im Gespräch erklärt sie, warum es wichtig ist, sich dagegen zu wehren und wie Betroffene Hilfe finden.

Frau Ahmadi, Beleidigungen, Bedrohungen und sexuelle Belästigung: Jede zweite junge Frau wird in den sozialen Medien zur Zielscheibe von digitaler Gewalt. Eines Tages hat es auch Sie getroffen – was hat sich an diesem Tag für Sie verändert?

Gerade am Anfang haben mich besonders die persönlichen Drohungen sehr getroffen. Manchmal habe ich mich daraufhin wochenlang von den sozialen Medien ferngehalten habe. Mir wurde jedoch klar, dass das für mich der falsche Weg ist, damit umzugehen. Solche Angriffe und Belästigungen sind immer ein Versuch, Macht auszuüben, und man sollte sich fragen, ob man sich dem wirklich beugen möchte. Statt sich einzuschränken und einschüchtern zu lassen, sollte man aktiv werden und sich dagegen wehren. Das ist nicht nur wichtig, um gegen solche Täter vorzugehen, sondern auch für das eigene Gefühl und Selbstbewusstsein.

Backlash: Misogyny in the Digital Age
Léa Clermont-Dion, Guylaine Maroist | CA | 2022 | 89 Min. | OmeU

16. Okt., 19:30 - 21:30, Colosseum
Filmscreening & Podiumsdiskussion

 

 

 

Backlash: Misogyny in the Digital Age

„Ein paar Tweets und Nachrichten im Internet, was soll man da schon machen?“ Aber ist das wirklich alles? Mehr als 40.000 sexistische Beleidigungen, Vergewaltigungs- und Morddrohungen, die Bildmontage eines abgetrennten Frauenkopfes, Aufnahmen einer Vergewaltigung und Hauseinbrüche – der Hass bleibt bei weitem nicht online. Die Politikerinnen Laura Boldrini und Kiah Morris, die YouTuberin Marion Séclin und die junge Lehrerin Laurence Gratton sind dieser Gewalt offline ausgesetzt, in ihrem Alltag. Und sie werden damit alleine gelassen. Lässt sich überhaupt etwas dagegen tun? Die vier Frauen sagen: Ja! Sie verlangen, dass endlich jemand zur Verantwortung gezogen wird und fordern die großen Onlineplattformen YouTube und Facebook, den Staat und die Täter selbst heraus.

Sie sind für Bündnis90/Die Grünen Mitglied des Berliner Abgeordnetenhauses und auch Vorsitzende des Innenausschusses. Aufgrund ihrer öffentlichen Position und ihrer politischen Arbeit sind sie die vergangenen Jahre immer wieder zur Zielscheibe digitaler Angriffe und Gewalt geworden. Was erleben sie im Netz?

Die Hassbotschaften, die ich bekomme, beziehen sich selten auf meine politische Arbeit, sondern eher um mein Geschlecht oder meine iranische Herkunft. Diese Angriffe sind also sehr persönlich und sollen quasi mein Recht infrage stellen, Position zu beziehen.

Auf Twitter betrifft das natürlich oft Themen, die sich um Gender und Rassismus drehen. Aber es reicht manchmal schon, wenn ich etwas auf Farsi poste, das dann eigentlich an entsprechende Personenkreise gerichtet ist – andere lassen sich das dann mit der Übersetzungsfunktion übersetzen und ich bekomme Beschwerden und Angriffe.

Schlimm sind eben besonders die richtigen, konkreteren Drohungen. Mit der Hilfe von HateAid sammle ich Belege von solchen Fällen und zeige sie bei der Polizei und den Betreibern der Plattformen an. Das ist nicht immer erfolgreich und oft mühsam, aber je konsequenter man sich wehrt, desto größer die Wirksamkeit.

Wie wirken sich diese Angriffe auf ihre politische Arbeit aus?

Als Innenpolitikerin ist das Thema digitaler Hass für mich auch politisch wichtig, beispielsweise beim Opferschutzgesetz, das momentan überarbeitet wird. Die öffentliche Sensibilität für digitale Gewalt und ihre Ausdrucksformen muss dringend gestärkt werden. Mobbing, Rassismuss, Sexismus, Drohungen – aber auch subtilere Angriffe und Herabsetzungen lassen sich dazuzählen.

Diese Sensibilisierung betrifft über Aus- und Weiterbildung z.B. auch die Polizei. Es darf nicht sein, dass Anzeigen scheitern oder verschleppt werden, weil die Fälle nicht ernstgenommen oder falsch zugeordnet wurden. Hierfür wäre auch die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften sinnvoll, die über spezielles Fachwissen verfügen.

Ganz besonders wichtig ist die Beratung von Betroffenen, sodass entsprechende Angebote ausgebaut, Organisationen wie HateAid stärker unterstützt und die Vernetzung mit den Strafverfolgungsbehörden intensiviert werden müssen.

Das Thema betrifft aber auch andere Politikfelder. Z.B. ist es wichtig, die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu stärken, um zu lernen, mit Dingen wie digitaler Gewalt, Falschinformationen und Propaganda umzugehen. Dies muss sowohl im regulären Unterricht als auch im Rahmen spezieller weiterer Bildungsprojekte stattfinden, wie sie z.B. die Medienanstalt Berlin-Brandenburg anbietet.

Interessant war ein Fall, der sich um Hertha BSC drehte und der einen völlig absurden Shitstorm von empörten „Fans“ nach sich zog und deutlich machte, dass digitale Gewalt auch im Bereich Sport ein großes Thema ist. Ähnliches gilt für die Gaming-Szene und die speziellen Plattformen, über die sich Leute austauschen.

Wie gehen sie mit den Angriffen um? Wird ihnen dabei geholfen oder wurden sie mit dieser einschneidenden Erfahrung allein gelassen?

Auch wenn es Kraft und Überwindung kostet, ist es wichtig, selbst aktiv zu werden, sich von digitaler Gewalt und Belästigungen nicht einschüchtern zu lassen, sondern dagegen vorzugehen. In manchen Fällen, wie z.B. fragwürdigen Twitter-Posts, hilft es schon, darauf zu reagieren und die Personen zu melden. Manchmal veröffentliche ich auch Dinge, um das öffentliche Bewusstsein zu schärfen und zu signalisieren, dass ich mir sowas nicht gefallen lasse.

In schlimmeren Fällen sollte man sich aber auch nicht scheuen, zur Polizei zu gehen. Organisationen wie HateAid bieten Beratung und Hilfe an, auch in Hinblick darauf, in welcher Form die Belege für die Vorfälle bei der Polizei vorgelegt werden müssen, damit es verfolgt werden kann. Andere mundtot zu machen, ist genau das, was solche Täter erreichen wollen, deshalb ist es für sich selbst und auch andere Betroffene wichtig, sich dem entgegenzustellen.

Was muss passieren um jene, die Opfer von Hass und Hetze im Netz werden, zu schützen?

Aus politischer Sicht betrifft dies neben den bereits genannten Maßnahmen z.B. die Anpassung von gesetzlichen Rahmenbedingungen, etwa beim Daten- und Opferschutz. Die Regelungen in Bezug auf die Erstattung von Anzeigen müssen überprüft werden, um die Hürden zu senken und Strafverfolgung zu erleichtern und zu verstärken, z.B. über die Schaffung von speziellen Meldeplattformen. Das können schon so vergleichsweise simple Maßnahmen sein wie die Möglichkeit, solche Fälle über die Online-Wache der Berliner Polizei nicht nur anzeigen, sondern direkt auch die erforderlichen Dokumente hochladen zu können. Viele dieser Maßnahmen erleichtern nicht nur die Lage für die Betroffenen, sondern auch die Arbeit der Strafverfolgungsbehörden.

Auf Seiten der Plattformen ist vor allem das Sperren von angezeigten Accounts und eine zügige Bearbeitung von Meldungen und Anzeigen von großer Bedeutung. Dementsprechend ist eine Sensibilisierung für das Thema bei den Mitarbeiter*innen der Betreiberfirmen ganz besonders wichtig.

Doch man kann eben auch selbst dazu beitragen: indem man sich wehrt, sich ggf. an die Öffentlichkeit wendet, mit anderen über solche Fälle spricht und Betroffene im eigenen Bekanntenkreis unterstützt, trägt man dazu bei, das öffentliche Bewusstsein zu stärken und Tätern einen Riegel vorzuschieben.

5. OCTOBER 2022