"Klimawandel ist als Fluchtursache nicht anerkannt – eine extreme Ungerechtigkeit"

Im Jahr 2021 haben 22 Millionen Menschen aufgrund einer Naturkatastrophe ihr Zuhause verloren. Fawad Durrani, Greenpeace-Experte für den Zusammenhang von Klimawandel, Vertreibung und Konflikten, sieht die Erderwärmung als einen Multiplikator von Fluchtursachen. 

Herr Durrani, warum sind Menschen, die wegen des Klimawandels vertrieben werden, nicht geschützt? 

Manche können später in ihre Heimat zurück, für andere gibt es diese Möglichkeit nicht. Sie gehen in die Slums der großen Städte, in Nachbarländer oder reisen in seltenen Fällen bis nach Europa, Australien oder in die USA, um ihre Familien zu versorgen. Doch dort gelten die Auswirkungen des Klimawandels nicht als Fluchtgrund. Das ist eine extreme Ungerechtigkeit: diejenigen die am meisten betroffenen sind von den Auswirkungen des Klimawandels, haben diese Krise am wenigsten verursacht. 

Inwiefern ist der Klimawandel ein Multiplikator für die Ursachen von Vertreibung? 

Ein Aspekt ist, dass mehr Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren. Gleichzeitig kann der Klimawandel bestehende Konflikte verstärken. Zum Beispiel, wenn bewaffnete Gruppen der verarmten Bevölkerung eine Einnahmequelle bieten und dadurch Zulauf erhalten für einen Kampf, der auch um die knapper werdenden Ressourcen geführt wird. In Afghanistan, wo ich herkomme, gibt es noch einen weiteren Aspekt. Dort schmelzen die Gletscher und das Wasser wird immer knapper. Die Bauern müssen Pflanzen anbauen, die weniger Wasser benötigen. Eine davon ist Opium. Der Handel mit dem Rauschgift wiederum hat die Konflikte im Land verstärkt. Auch wenn nicht exakt beziffert werden kann, wie sehr der einzelne Faktor zur jeweiligen Situation beiträgt: Wir müssen die Verschärfung durch den Klimawandel wahrnehmen und damit umgehen. 

Was können wir tun für Menschen, die gerade besonders bedroht sind? 

Als erstes müssen wir die Erderwärmung gemäß dem Pariser Klimaabkommen begrenzen.  Vertriebene durch den Klimawandel müssen auch einen rechtlich verbindlichen Status erhalten, der ihnen Schutz gewährt statt sie wie bisher oft zu kriminalisieren. Außerdem müssen die gefährdetsten und verwundbarsten Länder von der Weltgemeinschaft finanziell bei der Anpassung an den Klimawandel unterstützt werden. 

19. SEPTEMBER 2022