Fokus: Ukraine

Bereits seit 1991, als sich die Ukraine im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion als eigenständiger Staat von Russland löste, gibt es zwischen beiden Ländern wiederkehrende Spannungen. Im Zentrum der Konflikte stehen territoriale Interessen sowie politische Loyalitäten und besonders auf russischer Seite Sicherheitsbedenken durch die NATO-Osterweiterung. Nach der russischen Annexion der Halbinsel Krim im Jahr 2014 erreichte dieser Konflikt am 24. Februar 2022 einen neuen Höhepunkt, als Präsident Putin einen militärischen Sondereinsatz in die Ukraine anordnete, dem umgehend der Beschuss des gesamten Staatsgebiets folgte. Dem zuvor hatte er die Unabhängigkeit der seit vielen Jahren umkämpften Regionen Luhansk und Donezk anerkannt. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj verhängte noch am 24. Februar den Ausnahmezustand im Land.

TALKING HUMANITY KOMMENTAR

Filmauswahl

TALKING HUMANITY

18. Oktober, 18.30 Uhr 

Der genaue Blick im Krieg – Aus der Ukraine berichten

Die Debatte mit Natascha Freundel, Moritz Gathmann und Kristof Gerega

Im Krieg stirbt die Wahrheit zuerst, heißt es oft. Putins Krieg gegen die Ukraine ist ein besonderes Beispiel massiver und wirksamer Lügenpropaganda. Um die Ereignisse besser zu verstehen, sind wir auf genaue Reportagen angewiesen. Doch wie frei ist Berichterstattung im Krieg? Wie sehr bestimmt der Krieg deren Fokus und Sprache? Der Dokumentarfilmer Kristof Gerega wollte den politischen Aufbruch einer neuen Generation in der Ukraine nach dem Euromaidan 2014 festhalten – sein Filmtitel "Beyond Revolution - Fighting for Democracy" (Dt: „Generation Euromaidan - Sehnsucht nach Demokratie“) hat seit Kriegsbeginn auch eine wortwörtliche Bedeutung. Wie geht der innenpolitische Kampf gegen Korruption heute weiter, im Verteidigungskampf gegen Russland? Moritz Gathmann berichtet als Chefreporter von „Cicero“ seit dem Februar 2022 immer wieder aus der Ukraine. Wie kämpft man für die Wahrheit in diesem Krieg?

REGISTRIERUNG

Ukraine: Journalismus und Dokumentation
in Zeiten des Krieges - Gastbeitrag von Daria Buteiko

Seit dem 24. Februar 2022 sind alle Augen auf die Ukraine gerichtet. Als die Armee in das Land einfällt, entscheiden sich nicht nur Journalist*innen, sondern auch Filmemacher*innen, in der Ukraine zu sein, um die Folgen der russischen Aggression zu filmen. Sie dokumentieren zivile Opfer, Tatorte wie Bucha und Irpin, Städte unter anhaltendem russischem Beschuss wie Mykolayiv und Charkiw. Die Dokumentation der Kriegsverbrechen ist bedeutend, um Russlands Desinformationsblase zu durchstechen. Alle Medienerzeugnisse werden im Ukraine War Archive gesammelt. Das hat im Verlauf enorme Veränderungen in der Wahrnehmung des Krieges bewirkt sowie zu der Unterstützung der Ukraine geführt. Die Bilder der bombardierten Entbindungsstation von Mariupol etwa, dokumentiert von Yevgeny Maloletka und Mstyslav Chernov gingen um die Welt und lösten eine Reaktion innerhalb der internationalen Gemeinschaft aus. Sie übten Druck auf die Regierungen aus, die militärische Unterstützung für die Ukraine zu verstärken. Die Wirkung ihrer Bilder war so stark, dass Jewgeni und Mstyslav im Rahmen einer militärischen Spezialoperation der ukrainischen Armee aus dem belagerten Mariupol gerettet wurden, um sie vor Folter zu sichern. Andere konnten davor nicht bewahrt werden. 

Die Angst, dass die Fakten russischer Gräueltaten ans Licht kommen könnten, war der Grund warum der litauische Filmemacher Mantas Kvedaravičius von den Russen in Mariupol gefoltert und getötet wurde. Ebenso wie der ukrainische Fotograf Maks Levin im März in der Region Kiew gefangen genommen und ermordet wurde. Viele Filmemacher und Journalisten gehen das Risiko ein an die Frontlinie zu reisen, um die Auswirkungen des Krieges festzuhalten. Sie dokumentieren Angst, Schock und Schrecken. Ihre Kriegsdokumente verweben ukrainische Stimmen, Schreckenserfahrungen, Frustrationen und Hoffnungen von Millionen Ukrainern zu eindrucksvollen Chroniken. Die kraftvollen Bilder und Geschichten des Krieges, die von Journalisten und Filmemachern eingefangen werden, ermöglichen es dem Publikum das katastrophale Ausmaß des Krieges nicht nur zu verstehen, sondern auch nachzuempfinden. Sie halten die ukrainische Erzählung des Krieges fest und haben, auf diese Weise, auch einen hohen kulturellen und zeitgeschichtlichen Wert.

Daria Buteiko arbeitet in der Wissenschaft und bei verschiedenen europäischen Filmfestivals, wie der Berlinale und dem Filmfest München. In den letzten drei Jahren hat sie Vorführungen ukrainischer Filme in Berlin mit organisiert.

9. JUNE 2023