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Humanitärer Journalismus

Können Geschichten Leben verändern? Als humanitäre Journalist*innen glauben wir daran.

Ein Essay von Josephine Schmidt, Chefredakteurin von The New Humanitarian

Für uns bei The New Humanitarian – der einzigen globalen Nachrichtenredaktion, die sich auf die Berichterstattung über humanitäre Krisen spezialisiert hat – sollten „Geschichten“ auf faktenbasierten Reportagen und Analysen beruhen. Unser Blick ist daher kritisch auf die folgenden Themen gerichtet: Kriege, Vertreibung, klimabedingte Naturkatastrophen, Hungersnöte, Gefahren für die öffentliche Gesundheit (z. B. Covid-19, Ebola und der Anstieg von Cholera) und was das für Gemeinschaften bedeuten kann.

Um gut zu sein, muss Journalismus die Hoffnungslosigkeit überwinden können. Er muss einen Weg nach vorn aufzeigen
Foto von Josephine Schmidt, Chefredakteurin von The New Humanitarian
Josephine Schmidt, Chefredakteurin von The New Humanitarian

Wir können verstehen, wenn es auf den ersten Blick so erscheint, als habe unser Journalismus nur Hoffnungslosigkeit zur Folge. Die humanitäre Berichterstattung übermittelt prekäre Nachrichten – und zwar hart und direkt.

Wer sich auf unserer Website oder auf unseren sozialen Kanälen umschaut, wird feststellen, dass sich ein Großteil unserer Berichterstattung in letzter Zeit auf klimabedingte Notlagen konzentriert hat. So ist Hunger ein zentrales Thema – oft als Folge des Klimawandels. Und wie immer tragen Frauen und Mädchen in vielen dieser Krisen die Hauptlast.

Als Journalist*innen der humanitären Hilfe konzentrieren wir uns besonders auf die „vergessenen Krisen“ – auf chronische Konflikte und Umbrüche, die es nur selten in die Schlagzeilen der internationalen Mainstream-Medien schaffen. So verschwindet die Ukraine aus dem öffentlichen Bewusstsein, Syrien und der Jemen werden nur gelegentlich erwähnt, ab und zu taucht auch Äthiopien auf. Wir hingegen berichten über all diese Länder und darüber hinaus: über den Aufstieg von Banden und wie sie das Leben in Teilen Lateinamerikas verändern, über die Situation der mehr als eine Million Rohingya, die in Lagern in Bangladesch leben, und über den Wiederaufbau nach dem Erdbeben in Syrien und der Türkei.

Um gut zu sein, muss Journalismus die Hoffnungslosigkeit überwinden können. Er muss einen Weg nach vorn aufzeigen. Und hier kommt das Storytelling ins Spiel, um die Stimmen der Menschen vor Ort zu verstärken – und nicht nur zu berichten, was passiert ist, sondern auch warum. Wer oder was ist verantwortlich? Und welche Schritte können unternommen werden, um den Menschen zumindest ansatzweise zu helfen und ihr früheres Leben wieder zu ermöglichen? Deshalb berichten wir beispielsweise darüber, wie Selbsthilfenetzwerke die humanitäre Hilfe im Sudan vorantreiben und wie eine syrische Familie in Deutschland neu anfängt.

Als humanitäre Journalist*innen haben wir die Macht, falsche Narrative zu hinterfragen, die oft mit einem bestimmten Denk- oder Politiksystem und Ungerechigkeiten verbunden sind
Josephine Schmidt, Chefredakteurin von The New Humanitarian

Als humanitäre Journalist*innen haben wir die Macht, falsche Narrative zu hinterfragen, die oft mit einem bestimmten Denk- oder Politiksystem, dem Erbe der Kolonialherrschaft oder anderen Ungerechtigkeiten verbunden sind. Wir tragen die Verantwortung, nicht nur zu berichten, was geschehen ist – sondern Geschichten zu erzählen, die es uns allen ermöglichen, nach vorn zu blicken, uns etwas Besseres vorzustellen und damit zu beginnen, etwas aufzubauen. Und das, so hoffe ich, wird Ihnen und anderen Leser*innen das Gefühl geben, dass es noch Hoffnung gibt.
 

20. SEPTEMBER 2023