Special Screening - Willy-Brandt-Dokumentarfilmpreis für Freiheit und Menschenrechte: SOFTIE

Anlässlich des Tag der Menschenrechte am 10. Dezember zeigt das Human Rights Film Festival Berlin gemeinsam mit der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung den Gewinnerfilm des Willy-Brandt-Dokumentarfilmpreises für Freiheit und Menschenrechte 72 Stunden online kostenfrei. 

In einer Zeit, in der die Demokratie in vielen Ländern weltweit bedroht wird, ist es ausgesprochen wichtig, diese Tatsache zu thematisieren, so wie es Regisseur Sam Soko in seinem herausragenden Film SOFTIE gemacht hat.
Jury
Jurybegründung

SOFTIE
by Sam Soko 

online verfügbar von 10. Dezember 00.00 - 12.Dezember 23:59

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SOFTIE porträtiert den Fotografen und Aktivisten Boniface Mwangi aka Softie. Entschlossen, der politischen Korruption und dem aufgezwungenen Stammesdenken, dass die Menschen in seinem Land spaltet, ein Ende zu bereiten, kandidiert er bei einer regionalen kenianischen Wahl. Auf jeder Herausforderung reagiert er mit unerschütterlichem Optimismus.  Aber eine saubere Kampagne gegen korrupte Gegner nur mithilfe von Idealismus zu führen, ist beinahe unmöglich und bringt auch seine Familie in Gefahr.

Der Film Softie und seine Protagonisten sind leuchtende Beispiele für die Kraft der Menschen, Gutes zu tun. Sie sind eine Mahnung an uns alle, Demokratie nicht als selbstverständlich hinzunehmen.
Peter Brandt
- Peter Brandt

Interview mit Sam Soko, Njeri Mwange & Peter Brandt  


Njeri, Sam durfte in euer tägliches Leben einzutauchen, wie habt ihr es geschafft, die Kamera in all diesen kritischen Situationen um sich herum zu haben? 


Njeri: Als Sam zum Filmen beginn, drehte sich alles um meinen Mann. Ich und die Kinder befanden uns zufällig in dem Raum der Geschichte, die er zu erzählen versuchte, aber er erzählte nicht unsere Geschichte. Mit den Jahren habe ich mich also daran gewöhnt, ihn in der Nähe zu sehen, mich an die Kamera gewöhnt, ebenso wie die Kinder, dass er, als er die Kamera auf uns gerichtet hat bereits ein guter Freund für uns war. 


Für mich war es sehr wichtig, ein Privatleben zu haben, weil mein Mann eine sehr öffentliche Persönlichkeit ist. Dennoch war es ein leichter Übergang, als die Kameras anfingen, auf uns zu blicken und unsere Geschichte zu erzählen, und ich dachte, es sei auch eine wichtige Geschichte, denn Frauen wie Nadia (Murad) sagte, werden nicht so gesehen, als ob wir etwas beitragen, aber unsere Geschichten zählen, und was wir tun, ist wichtig. Als es dann um mich ging, sagte ich: "Okay, vielleicht können wir das machen, aber ich war mir immer noch nicht sicher.“


Während der ganzen Zeit musste ich mich daran erinnern, warum es wichtig war, dass diese Geschichte erzählt wird.


Sam, Du hast einen sehr eindringlichen Film geschaffen, nicht nur über einen Helden, sondern über eine Heldenfamilie, wie hast du Boniface und seine Familie kennen gelernt? Wann war klar, dass du einen Film drehen wirst?


Sam: Es war eine lange – 7 Jahre – Reise, bis der Film fertig gestellt war. Wir begannen mit dieser Geschichte im Jahr 2013, als wir einen Kurzfilm mit Boniface drehten, um die Menschen zu inspirieren. Die Begegnung mit Boniface und die Auseinandersetzung mit ihm und später das Treffen mit Njeri und der Familie mündeten in die Überlegung, welche Rolle der Einzelne und welche Rolle die Familie in der Demokratie spielt. Oft zeigen wir den Helden, aber merken nicht, wie viel Druck die Gesellschaft auf diesen Helden und auf diese Person ausübt und sehen nie etwas darüber hinaus. Die Menschen, die hinter ihnen und allem, was sie tun, stehen. Die Menschen, die von den Entscheidungen, die sie treffen betroffen sind. In diesem Fall war es ein Privileg, Njeri und ihre Familie zu treffen. Jede kleine Entscheidung, die Boniface trifft, wirkt sich unmittelbar auf ihr Leben aus. Ich glaube, ein Wendepunkt in der Geschichte – ja auch für uns als Filmteam war, als er bekannt gab, dass er für das Amt kandidiert. Für mich ging es darum, nicht nur das Ergebnis von allem, was stattfindet, hervorzuheben, sondern auch die Menschen zu feiern, die man nie sieht, wie zum Beispiel die Kinder. 


Sam, wenn man deinen Film ansieht, dann kann man, je nach Perspektive, einen Liebesfilm, ein Drama oder sogar einen politischen Thriller sehen? Welche Art von Film hattest du im Sinn, als du im Schneideraum warst.  


Sam: Der Film ist eine Liebesgeschichte, es ist die Liebesgeschichte eines Landes, die Liebesgeschichte einer Familie. Es sind einfach Fragen, was zuerst kommt, das Land oder die Familie, und das ist eine komplexe Frage, und wir alle haben diese Fragen in den Sachen, die wir machen. Es ist eine Liebesgeschichte für mich. Vielleicht, eine Liebesgeschichte mit einem Hauch von Thriller.


Njeri, Aktivist*in zu sein und eine Familie zu haben, muss manchmal sehr aufreiben sein. Ist es wirklich vereinbar?


Ich denke, es gibt eine Vereinbarkeit, denn der Grund, warum wir zu Aktivist*innen wurden, war, dass wir ein besseres Leben für unsere Kinder wollten. Wir wollen, dass unsere Kinder in einem freien Land aufwachsen und in den Genuss dessen kommen, was sie bekommen können; eine gute Ausbildung, Krankenversorgung und all diese großartigen Dinge im Leben, ein Leben in Würde. Das ist nicht etwas, das wir bieten können, nur weil wir Eltern sind, es ist die Regierung, das System, das in der Lage sein muss, das zu bieten, und wenn nicht nur unsere Familie davon profitiert, dann profitieren wir alle als Nation davon. Die Liebe zur Familie ist es, die Sie dazu bringt, den nächsten Schritt zu tun und zu sagen, dass wir das System in Ordnung bringen müssen. Wenn das System repariert ist, dann ist mein Traum wahr geworden. Es gibt sie also doch, und sie sollten zusammen existieren. Ich denke, sie gehen Hand in Hand und sollten nicht getrennt werden.


Sam, denkst du, dass dein Film Boniface darin bestärkt hat, dass er sich nicht nur als Aktivist, sondern auch als politischer Akteur etwas verändern kann? Und wie stehst du zu der Verantwortung, die der Filmemacher vor allem beim Dokumentarfilmemachen haben, jemandem vielleicht eine imaginäre Macht zu geben oder ihm auch echte Macht zu geben?


Im besonderen Fall von Boniface würde ich nein sagen, denn, um nur Njeris Worte zu verwenden, Boniface trifft seine eigenen Entscheidungen. Nachdem er sich bereits entschieden hat, erfahren wir anderen von dieser Entscheidung. 


Aber ich stimme zu, dass gerade im Dokumentarfilm unsere Anwesenheit einen Einfluss hat. In vielen Fällen halte ich es für ignorant zu glauben, dass es keinen Einfluss hat. In Kenia haben wir keine reiche Geschichte an Dokumentarfilmen. Vielen Menschen fällt es schwer zu vertrauen und heißen dich nicht einfach willkommen und erzählen ihre Geschichten. Viele der Geschichten, die wir erzählen, sind kurz, sie sind mehr oder weniger wie Nachrichten. Eines der schönen Dinge am Geschichtenerzählen, sind die verschiedene Arten, wie Geschichten erzählt werden können. Das ist etwas, das wir nicht für selbstverständlich halten, denn wir müssen hier noch etwas mehr lernen. In Kenia gibt es aber viele erstaunliche Geschichten zu erzählen. Ich denke aber, dass es wichtig ist, dass diese Geschichten von uns selbst erzählt werden, da sie lange Zeit nicht von uns erzählt wurden. Andere kommen und erzählen unsere Geschichten für uns und behaupten, es sei zu unserem Besten. Eine kenianische Familie erlaubte mir, ihr Haus zu betreten, um ihre Geschichte zu erzählen, und hier bin ich in Berlin und erzähle die gleiche Geschichte. Wir brauchen mehr davon.


Peter, der Preis wurde von der internationalen Jury des Willy-Brandt-Dokumentarfilmpreises für Freiheit und Menschenrechte ausgezeichnet. Nun geht es in dem Film auch um einen Journalisten und Aktivisten, wie haben Sie den Film wahrgenommen. 


Der Dokumentarfilmpreis erinnert an Willi Brandts Verdienste als deutscher Bundeskanzler und als internationaler Staatsmann. Er würdigt Filmemacher, deren Arbeit beispielhaft für die Prinzipien Willy Brandts steht. Sein ganzes Leben lang hat sich Willy Brandt für Frieden und Freiheit, für soziale Gerechtigkeit im Innern und weltweit, für die Förderung der Demokratie sowie für Versöhnung und Verständigung zwischen den Menschen eingesetzt.


Softie mag ein Spitzname für Njeris Mann sein, aber es ist ihre Stärke als Aktivistin, als Mutter und als Partnerin, die dem Film das gewisse Etwas verleiht.


Nur ein hervorragender Regisseur kann all dies auf die Leinwand bringen. Sam Soko begleitete nicht nur einen Aktivisten über sieben Jahre hinweg, er schuf auch ein außergewöhnliches Werk über Menschen, die sich zwischen persönlicher Überzeugung, Werten und der Bedrohung ihrer Familien und ihres Lebens befinden. Bis zur letzten Einstellung veranschaulicht der Film die Bedeutung der Entscheidung, für die Demokratie einzutreten.


Die Welt braucht Menschen, die für Freiheit und Gerechtigkeit kämpfen. Einige schaffen es sogar, die Welt zu verändern. Menschenrechte und Demokratie stehen heute vor großen Herausforderungen. Selbst in den USA und in immer mehr Ländern Europas stellen autoritäre Regierungen und populistische Rechtsparteien die demokratischen Werte und Regeln in Frage. Schaut in euer Herz und fragt euch: Wie kann ich etwas bewirken?


Der Film Softie und seine Protagonisten sind leuchtende Beispiele für die Kraft der Menschen, Gutes zu tun. Sie sind eine Mahnung an uns alle, Demokratie nicht als selbstverständlich hinzunehmen, sondern, wie Willy Brandt bekanntlich sagte, "mehr Demokratie zu wagen".


Sam, Njeri, der Film wurde weltweit ausgezeichnet. Nun auch hier in Berlin mit dem Willy-Brandt-Dokumentarfilmpreis für Freiheit und Menschenrechte. Bestärkt es euch in eurer Arbeit? 


Sam: Ja, dieser Preis bestärkt und darin, weiter zu machen und weiter Geschichten zu erzählen. Ich bin nur Zeuge einer unglaublichen Liebesgeschichte für mein Land, einer Geschichte in ihrem Leben, es ist erstaunlich zu sehen, dass der Film von Deutschen so verstanden wird. Dies ist ein so kritischer Moment in der Zeit, dass wir mutiger und stärker sein müssen und weiterhin Gespräche und Erzählungen zum Schutz der Demokratie lauter artikulieren müssen, denn sie ist nicht so stark, wie wir denken, und sie kann leicht verschwinden, während wir nicht zuschauen. Darin wurden wir durch diesen  Preis gestärkt. 


Njeri: In diesem Film ist viel gesagt worden, aber was ich noch hinzufügen wollte, ist, dass es nicht nur meine Geschichte ist, es ist die Geschichte aller Aktivist*innen, von der ihr gehört habt, und einige ihrer Leben sind so viel schwieriger, und einige haben ihr Leben verloren, und ich habe Glück, dass meines noch intakt ist. Deshalb ist mein Aufruf, dass wir aktive Bürgerinnen und Bürger sein werden, dass wir die Anliegen, an die wir glauben, in jeder Hinsicht unterstützen und dass wir für das, was richtig ist, eintreten können. Denn es gibt viel Ungerechtigkeit in dieser Welt, und einige von uns sehen nur zu, wie sie geschieht, und das sollten wir nicht, weil es nicht geschehen sollte. Also, wer immer ihr seid, tut, was ihr könnt. Nichts ist klein, tut das Wenige, was ihr könnt. Diese kleinen Dinge zusammen machen den ganzen Unterschied aus, und das ist es, was Veränderungen bewirkt. Und die Dinge, die Freiheiten, die man genießt, wurden durch Menschen erreicht, die ihr Leben für uns verloren haben, also beschützt sie und schützt die Menschen. Der Preis hilft uns, dies sichtbar zu machen. 
 

10. DECEMBER 2020