Getting to Know: Askold Kurov

Im September 2019 gewann Askold Kurov mit seinem Dokumentarfilm „Novaya“ den ersten Willy-Brandt-Dokumentarfilmpreis für Freiheit und Menschenrechte (verliehen vom Human Rights Film Festival Berlin in Kooperation mit der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung). Jetzt ist sein herausragender Film online verfügbar.

Anlässlich der online-Veröffentlichungen haben wir Askold Kurov für Euch interviewt.

HRFFB: Warum bist du Dokumentarfilmemacher geworden?

KUROV: Das ist eine ziemlich seltsame Geschichte. In meiner Kindheit war mein Hauptinteresse und Hobby Theater und ich träumte von einer Schauspielkarriere. Das hat jedoch nicht geklappt - ich scheiterte mehrfach hintereinander an den Aufnahmeprüfungen an den Theaterschulen. Vielleicht war das mein Glück. Zunächst konnte ich mich lange Zeit nicht für einen Beruf entscheiden. Ich habe eine Reihe verschiedener, teils exotischer Aktivitäten ausprobiert, wie z. B. Musiklehrer im Kindergarten, Glöckner in einer Kirche oder Verpackungsdesigner. Und dann hatte ich eines Nachts einen Traum, in dem ich als Regisseur einen Film drehte. Als ich aufwachte und realisierte, dass dies genau das ist, was ich tun will, war ich absolut glücklich.

 

HRFFB: Was war das Thema deines ersten Films und wie kamst du dazu?

KUROV: Das Thema ist mein Adoptivsohn Dima. Ich traf ihn in einem Waisenhaus, als er 6 Jahre alt war und wurde sein Pate. Eines Tages erzählte er mir die Geschichte seiner großen, aber dysfunktionalen Familie: von seinen alkoholkranken Eltern und den fünf Kindern. Als Dima 4 Jahre alt war, tötete sein Vater vor seinen Augen seine Mutter. So kam Dima ins Waisenheim. Als Erwachsener, nachdem er die Schule abgeschlossen und in der Armee gedient hatte, beschloss er, seine Brüder und Schwestern und seinen Vater zu finden, der zu diesem Zeitpunkt aus dem Gefängnis entlassen werden sollte. Ich begleitete ihn und hielt die Geschichte dieses Tages mit meiner Kamera fest. Daraus wurde der Film „September, 25“.

 

HRFFB: In deinem Film NOVAYA zeigst du, wie weit die Maßnahmen zur Unterdrückung von freier Berichterstattung gehen können. Hast du manchmal Angst, dass du wegen deiner Arbeit in Gefahr kommen könntest?

KUROV: Ja, manchmal habe ich das Gefühl, dass mich meine Arbeit in unsichere Situationen bringt, dann bekomme ich Angst. Aber das ist nichts im Vergleich zu der Gefahr, der die Journalist*innen der Nowaja Gazeta fast täglich ausgesetzt sind. Den Artikeln, die sie schreiben gehen hoch komplexe, investigative Untersuchungen voraus, die oft hohe russische Regierungsbeamte betreffen. In dem Raum, in dem die täglichen Treffen des Zeitungsteams stattfinden, hängen Porträts der ermordeten Nowaja-Journalist*innen an der Wand, darunter Anna Politkowskaja. Dies erinnert sie ständig an den Preis, den manche von ihnen für die Wahrheit und ihre berufliche Verpflichtung bezahlen müssen. Gleichzeitig motiviert es sie aber, ihre Arbeit fortzusetzen.

 

HRFFB: Was hat Sie an der Redaktion der Nowaja Gazeta am meisten fasziniert?

KUROV: Ehre, Mut und Liebe zum Leben.

Icon

Nur wenige Tage nach seiner Entlassung, kam Oleg Senzov zur Preisverleihung als Laudator für Askold Kurov nach Berlin und überreichte seinem Freund den Willy-Brandt-Dokumentarfilmpreis für Freiheit und Menschenrechte. / (c) HRFFB, Dovile Sermokas

HRFFB: Beim Human Rights Film Festival Berlin hast du den Willy-Brandt-Dokumentarfilmpreis für Freiheit und Menschenrechte gewonnen, der Ihr nächstes Projekt unterstützen soll – kannst du uns schon sagen, woran du arbeitest?

KUROV: Es wird noch eine Geschichte über Oleg Sentsov sein. Sentsov ist der ukrainische Filmregisseur und Aktivist von der Krim, den die russischen Behörden 2014 unter falscher Anschuldigung von Terrorismus verhaftet und zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt haben. (2017 habe ich darüber einen Film mit dem Titel „The Trial: The State of Russia vs Oleg Sentsov” gemacht.)2018, während er in der russischen Kolonie am Nordpol gefangen gehalten wurde, beaufsichtigte Oleg mit Hilfe seiner Kolleg*innen und seines Anwalts die Dreharbeiten zu seinem neuen Film, der in der Ukraine spielt. Mein Film wird von diesem Prozess handeln.

 

HRFFB: Was ist dein persönlicher Lieblingsdokumentarfilm und welcher Dokumentarfilmer inspiriert dich am meisten?

KUROV: „Salesman” von den Maysles Brüdern
„The Emperor's Naked Army Marches On” von Kazuo Hara
„Loss Is to Be Expected” von Ulrich Seidl
„Til Madness Do Us Part” von Wang Bing
„The Act of Killing” von Joshua Oppenheimer

 

HRFFB: In Zeiten von Selbstisolation brauchen wir alle etwas Positivität - deshalb als letzte Frage: Was ist ein gutes Lied, um die Stimmung zu heben?

KUROV: Naturgeräusche.

7. MAI 2020